Höhenangst überwunden

Im Hochseilgarten auf der Gmünder Gartenschau
arbeiten Sozialpädagogen mit Kindern

Als Fabiano Messina (11) das erste Mal im Gmünder Kletterwald war, wurde ihm übel. Höhenangst, er musste abbrechen. Er versucht's nochmal. Zusammen mit Parcours-Betreiber und Sozialpädagoge Norbert Friedel. Und überwindet seine Ängste.

„Wirklich mutig sind nur die, die Angst haben“, sagt Norbert Friedel. „Denn die müssen den Mut haben, ihre Angst zu überwinden.“ Er steht mit Fabiano auf einer Plattform im Gmünder Taubentalwald, ungefähr drei Meter über dem Boden. Der Weg zur nächsten Plattform führt über Holzbalken, die bei jedem Schritt wackeln und – noch viel schlimmer für Fabiano – den Blick in die Tiefe freigeben.
Der Lorcher Schüler hat Höhenangst. Er war schon einmal mit seiner Familie im Kletterpark auf der Landesgartenschau. „Damals ist ihm ganz übel geworden, er konnte nicht weitermachen“, sagt seine Mutter Madeleine. Sein drei Jahre jüngerer Cousin Manuel D’Agnelli hat alle Parcours bis auf einen geschafft. Das hat Fabiano so gefuchst, dass er wenige Wochen später wiedergekommen ist, um seine Höhenangst zu besiegen.
Diesmal begleitet ihn der Betreiber des Kletterparks, Norbert Friedel, auf dem Weg durch die Parcours. Davon gibt es im Kletterpark insgesamt neun Stück. Einen zur Einweisung, einen für Kleinkinder und sieben Parcours für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Höhepunkt für die Besucher ist der Flying-Fox-Parcours. Bis zu 80 Meter müssen die Kletterer an einem Stahlseil entlanggleiten, um von einer Plattform zur nächsten zu kommen. Zudem können Rollstuhlfahrer einen auf sie abgestimmten Parcours absolvieren – mit dem Rollstuhl. Die Verbindungen zwischen den Plattformen sind dabei deutlich verbreitert worden, stellen aber trotzdem Schwierigkeiten dar. Zum Beispiel müssen Rollstuhlfahrer Hindernisse auf einem Holzbrett um- und überfahren. Einige Meter werden sogar freischwingend mit dem Rollstuhl zurückgelegt.
Fabiano und Friedel starten im Rollstuhlfahrerparcours. „Der ist relativ einfach zu überwinden, da konzentriert man sich nicht so sehr auf die Höhe“, sagt Friedel. An einigen Stellen geht es aber durchaus zehn Meter in die Tiefe. Um Fabiano die Angst davor zu nehmen, greift Friedel zu einem Trick: Er zeigt Fabiano die benachbarten Landschweine. So schaut Fabiano nach unten, konzentriert sich aber auf die Schweine, nicht auf die Höhe.
Als Fabiano von der letzten Plattform des Rollstuhlfahrerparcours hüpft, ist er sichtlich erleichtert. Aber auch stolz. „Elf Meter über dem Boden warst du gerade“, sagt Friedel. „Hast du Lust auf 15?“ Fabiano zögert kurz. „Jaaaa“, sagt er dann unsicher. „Aber erst eine kurze Pause.“
Zu Friedel in den Kletterpark kommen bewusst Menschen mit Höhenangst, um eben diese zu überwinden. „Manchmal sind das auch Hausfrauen, die morgens allein zu mir kommen, den Parcours absolvieren, um ihre Höhenangst zu reduzieren. Nachmittags kommen sie dann mit ihrer Familie in den Kletterpark“, sagt er lächelnd.
Fabiano ist bereit für die nächste Stufe. Jetzt geht es in einen der großen Parcours. Das erste Hindernis: eine drei Meter hohe Leiter, die auf die erste Plattform führt. Dann wird es deutlich schwieriger, Fabiano soll auf einem Zentimeter dünnen Stahlseil zur nächsten Plattform balancieren, dabei kann er sich nur an einem Seil über ihm halten, unter ihm geht es drei Meter in die Tiefe.

„Wirklich mutig sind nur die, die Angst haben.“ 
Norbert Friedel,Kletterpark-Betreiber

Er nimmt allen Mut zusammen und läuft los. Vor ihm, rückwärts gehend, Norbert Friedel. Er spricht Fabiano ständig ruhig zu. „Schau immer zu mir, schau mir in die Augen.“ Die Höhe soll ausgeblendet werden. So erreichen die beiden die nächste Plattform. Pause.
Zehn ausgebildete Pädagogen sind im 36-köpfigen Team des Kletterparks. Darauf legen die Betreiber großen Wert, sagt Friedel. Jede Schulklasse wird von einem Pädagogen durch den Park geführt, Familien oder Erwachsene bekommen eine Einweisung der sogenannten „Instructor“ und werden auf den Park losgelassen. Die Pädagogen-Ausbildung kommt den Mitarbeitern auch im Rollstuhlparcours zugute. Dort läuft immer einer der Mitarbeiter direkt hinter den Rollstuhlfahrern, lässt den Rollstuhlfahrer so viel wie möglich alleine machen, greift nur dann ein, wenn es unbedingt nötig ist. Gleichzeitig ist er ständig da, um ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.
Das Konzept kommt an: „Wir haben ständig Nachfragen, die meisten sind begeistert“, sagt Ludwig Rettenmaier, Mitbetreiber. Letztens sei ein Rollstuhlfahrer dagewesen, dessen Familie oft klettern geht. „Er geht immer mit, sitzt aber dann in der Halle und schaut den anderen zu“, sagt Rettenmaier. „Diesmal war es anders herum: Er absolvierte den Kletterparcours, seine Familie stand daneben und schaute zu. Zum ersten Mal stand er im Mittelpunkt.“
Im Mittelpunkt steht auch Fabiano. Mittlerweile ist er fast am Ende des Parcours. Ein fahrender Sitzteller, befestigt an einem Stahlseil, trennt ihn von der letzten Plattform. Noch traut Fabiano sich nicht. „Geh’ du zuerst“, sagt er zu Friedel. Der macht vor, wie es funktioniert. Schickt den Teller wieder zurück. Jetzt steht Fabiano aber wieder ganz alleine auf der Plattform, Friedel kann ihm nur von der nächsten zurufen. Fabiano traut sich nicht. Friedel muss zurück, redet noch einmal ein paar Minuten ruhig auf Fabiano ein, macht Mut, zeigt ihm immer wieder, wie viel davon er schon im Kletterpark bewiesen hat.
Dann kann’s losgehen, Fabiano setzt sich auf den Teller, Friedel zählt bis drei, Fabiano stößt sich ab. Und gleitet zur letzten Plattform. Geschafft.
Mit den Nerven am Ende, aber stolz wie Oskar verkündet Fabiano: Für heute ist Schluss, aber wiederkommen, das will er auf jeden Fall.

Ein Bericht in der Gmünder Tagespost und Schwäbischen Post vom Samstag, 21. Juni 2014. Text und Fotos Matthias Thome.